Terror und Bewusstsein
Terror ist eine Frage des Bewusstseins sowohl bei den Tätern wie bei den Opfern. Natürlich kann man nicht sagen, das individuelle Opfer hätte direkt etwas mit dem Bewusstseinsproblem zu tun. Aber man kann sagen, die Gesellschaft, in der die Opfer leben, richten durch ihr Bewusstsein eine Konstellation ein, in der Terrorakte stattfinden können. Denn die Terroristen sind in aller Regel Angehörige der Gesellschaft, gegen welche sie sich richten. Und dass sie sich gegen die Gesellschaft richten, in der sie leben, hat mit einem trostlosen Bewusstseinsmilieu zu tun, an welchem die Gesellschaft mitverantwortlich ist.
Als vor Jahren in den Pariser Vorstädten Krawalle entstanden, wurde in den Medien über die hoffnungslose Situation in diesen Stadtteilen geschrieben. In der Zeitschrift des Bundes Deutscher Architekten stand dann: „Die Architekten sind schuld und die Stadtplaner“. Da gibt es natürlich noch viele weitere Schuldige. Das wusste auch der Journalist, der jenen Satz schrieb. Denn es ist ja in erster Linie die Politik, welche solch trostlose Stadtteile einrichtet. Und die Politik macht das, was die Mehrheit der Bevölkerung will, denn von dieser werden die Politiker gewählt. Also ist für die Trostlosigkeit der Lebenssituation von bestimmten Bevölkerungsgruppen die Mehrheit der Bevölkerung verantwortlich.
Wenn man sich die Bewusstseinssituation in unseren zivilisierten Gesellschaften anschaut, muss man sagen, dass es hier kaum Minderheiten gibt, welche lautstark sagen, was man tun müsste, um Terror zu verhindern. Terror hat fast immer mit einem innergesellschaftlichen Bewusstseinsproblem zu tun. Das war bei der RAF so und das ist jetzt bei den Islamisten wieder ähnlich. Hören wir uns doch an, was die Verantwortlichen, was die Organisationen, was die Medien sagen. Hier gibt es wenig Kritik am Bewusstsein der Gesellschaftsplaner.
Dass man die Betroffenheit zeigt, ist gut. Es soll auch über die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung und die Leistung der Einsatzkräfte berichtet werden. Die Terrorabwehr auszubauen ist kurzfristig das Einzige, was man machen kann. Denn das Bewusstsein kann man nicht so schnell in der Gesellschaft ändern, dass in kurzer Zeit eine Verringerung der Terrorgefahr eintritt. Aber um langfristig eine Verbesserung der Gefahrenlage zu bewirken, müsste jetzt dringend wenigstens einmal über die Probleme diskutiert werden. Dagegen aber wehrt sich die gesamte Gesellschaft.
Ich finde den oben zitierten Satz „Die Architekten sind schuld und die Stadtplaner“ schon bemerkenswert. Man hätte damals meinen können, es findet jetzt eine groß angelegte Diskussion darüber statt, was in unserer eigenen Gesellschaft falsch läuft. Man müsste jetzt doch die klügsten Köpfe befragen, welche Schuld wir selbst an den Krawallen und dem Terror haben. Und dann müssten Maßnahmen besprochen werden, damit eine Atmosphäre entsteht, in welcher der Terror nicht gedeihen kann. Was ist damals aber an Diskussion geschehen? Nichts! Man ist sofort zur Tagesordnung übergegangen und hat den gleichen Schmarren gemacht wie vorher. Wir haben in der Gesellschaft ein Bewusstsein, das unfähig ist, auf den Terror angemessen zu reagieren. Es ist tatsächlich eine Frage des Bewusstsein, ob wir wenigstens langfristig das Gefahrenproblem abbauen können.
Wenn ich jetzt beschreibe, wie man die Gesellschaft organisieren muss, dass die Terrorgefahr abgebaut wird, dann werden die meisten das nicht verstehen und die Einsichtigen werden sagen: Das ist zwar gut, aber nicht umsetzbar. Und da haben sie leider auch recht. Denn ohne Bewusstseinsänderung sind die Verbesserungen nicht durchsetzbar. Das Erste ist also, ein tieferes Bewusstsein zu verbreiten. Und dies geschieht durch eine breite Beschäftigung mit dem Thema. Gewisse Anzeichen, dass sich dies in die Bewegung setzt, gibt es schon. Aber das ist alles noch sehr wenig. In jedem Menschen steckt zumindest teilweise die ganze Geschichte der Bewusstseinsentwicklung der Menschheit. Leider gibt es noch kein einziges Buch über diese Geschichte.
Wie soll man das Bewusstsein erweitern, wenn nicht bekannt ist, was in jedem Menschen an Unbewusstem vorhanden ist? Man muss also das Unbewusste im Menschen erforschen. Das wäre auch gar nicht so schwer, wenn man es endlich wollte! Also schauen wir es uns einmal an, was tief im Menschen eingelagert ist. Dies geht nicht von heute auf morgen. Ein erster Ansatz dazu ist mein Buch: Die Geschichte des Bewusstseins und der Kultur – die Basis einer neuen Gesellschaft. Ich kann in einem Text wie diesem nicht das ganze Buch erklären. Aber ich kann schon einmal einige Konsequenzen beschreiben. Aufgeschlossene Menschen werden ein Gefühl besitzen, mit dem sie diese Konsequenzen im Großen und Ganzen befürworten werden.
Wir brauchen eine Gesellschaft, in der alle Menschen die Chance für ein würdiges Leben erhalten. Das ist in den typischen Vorstädten von Paris nicht der Fall. Das ist aber in allen Städten Europas nicht viel besser. Der Terror kann also auch in Brüssel, Berlin oder Frankfurt auftauchen. Alle Menschen haben ein Anrecht auf Bildung. Das kann auch eine handwerkliche oder kaufmännische Bildung sein. Und dann haben diese Ausgebildeten ein Recht auf Arbeits- und Verdienstmöglichkeit. Bei bestimmten Bevölkerungsgruppen klappt das nicht, nicht nur bei Ausländern sondern auch bei Einheimischen. Wir brauchen also eine andere Gesellschaftsordnung.
Wie diese aussehen soll, ist an sich nicht unbekannt. Aber die mächtigsten Kräfte in der Gesellschaft wollen das nicht. Das sieht man sehr deutlich bei der Auseinandersetzung über TTIP in CETA. Dass hier die traditionellen Parteien wie CDU und SPD nur das Geschäft des Großkapitals und der Großwirtschaft im Auge haben, ist ist traurig. Im Wesentlichen kommt der Widerstand aus einer engagierten Bevölkerungsbewegung. Solange diese Bewegung nicht deutlichen Einfluss auf die Gestaltung der Gesellschaft erhält, wird sich an der Hoffnungslosigkeit bestimmter Bevölkerungsschichten nichts ändern.
Wir brauchen an der Stelle der jetzigen Ich-Kultur eine Wir-Kultur. Die von der Entwicklung Abgehängten kommen nur zum Zug, wenn wir diese in die Wir-Kultur einbeziehen. Wir waren an diesem Punkt in den 70er Jahren schon einmal weiter. Denn damals gab es einige Initiativen, welche erkannt haben, dass das mit den staatlichen Sozialsystemen allein nicht machbar ist. Die sozialen Großstrukturen brauchen eine Entsprechung an der Basis. Denn mit Sozialhilfe-Gelder allein kommen die Abgehängten nicht in die Gesellschaft hinein. Die engagierten Basisgruppen verschlechtern nicht die Wirtschaft, auch wenn sie der Macht der Großwirtschaft eine Kleinwirtschaft angliedern. Und zur Kleinwirtschaft gehört auch eine Wir-Lebensform.
Die Kleinwirtschaft lebt vom sozialen Umfeld, von der Region. Und dieses soziale Umfeld muss aus Nachbarschaften bestehen, welche sich selbst organisieren und auch Raum für Kleinwirtschaft, Gartenbau oder Landwirtschaft bieten. Diese Idee ist nicht neu, aber sie wird massiv bekämpft von der Großwirtschaft und den Herrschaftsstrukturen, denn diese wollen alle funktionierenden Kleinstrukturen verhindern. Die Kleinstrukturen reduzieren den Konsum von Produkten der Großwirtschaft durch Tausch und gegenseitige nachbarschaftliche Hilfe. Das ist der Kern, der den Widerstand der Großwirtschaft auslöst. Und wenn man sich unsere Wohnlandschaften anschaut, dann findet man nirgends jene sich selbst organisierenden Nachbarschaften.
Solche sich selbst organisierenden Nachbarschaften drücken ihr Bewusstsein in den Strukturen der Wohnumwelt aus. . Die Häuser rücken aneinander, womit das Wir-Bewusstsein ausgedrückt wird. Es entsteht eine geschlossene Bebauung Dadur werden die öffentlichen Flächen als Gemeinschaftsräume erlebbar. Die direkten Erschließungsflächen sind vielfältig gestaltet mit Plätzen, Passagen, Gassen, Spielplätzen etc und sie sind autofrei . Hier können die Kinder gefahrlos spielen, die Jugendlichen ihre Treffen vereinbaren. Die Familien können Kontakte pflegen und ihre Nachbarschaftsfeste feiern. Altenwohnungen und Pflegeeinrichtungen sind in den Nachbarschaften enthalten und werden von der Nachbarschaft selbst organisiert. Vor den Häusern können die Familien ihre Hausbank haben. Diese öffentlichen Flächen sind attraktiv gestaltet mit Bäumen und Blumenschmuck. Das Ganze ist sehr viel wirtschaftlicher als die heutigen Wohnsysteme ud deshalb wären solche Strukturen leicht realisierbar. Man müsste sie aber wollen.
Manche haben Angst, dass dadurch die individuelle Freiheit eingeschränkt würde. Das ist nicht der Fall. Die Nachbarschaften wenden sich nicht gegen die individuelle Selbstentwicklung. Ganz im Gegenteil! Diese Nachbarschaften kümmern sich nämlich darum, dass die individuelle Freiheit in besonderem Maße gefördert wird. Das drückt sich symbolisch aus in der Wohnstruktur. Beispielsweise gibt es einsichtsgeschützte Gärten für möglichst viele Hauptwohnungen oder vergleichbare Angebote in Grünflächen. Dadurch kann sich jeder in einen einsichtgeschützten individuellen Raum zurück ziehen. Diese hohe individuelle Qualität gibt es fast nirgends im konventionellen Bauen. Und das hat auch seinen Grund. Je zufriedenen die Menschen im eigenen Lebensraum sind, desto weniger sind sie auf kommerzielle Freizeitangebote der Großwirtschaft angewiesen. Auch hier haben wir wieder den subtilen Einfluss der Großindustrie.
Dabei soll hier nicht der Eindruck entstehen, dass wir die Großwirtschaft nicht bräuchten. Diese ist entscheidend wichtig. Aber sie muss in das Gleichgewicht gebracht werden mit der Kleinwirtschaft und der Selbstorganisation kleinerer Gesellschaftsgruppen. Das reduziert schon etwas die Umsätze der Großwirtschaft. Aber es entstünde dann ein Gleichgewicht. Ein ständiges Wachstum ist dann nicht mehr nötig. Vielleicht wird dann auch das Lohnniveau etwas sinken, aber es entstünde ein Riesenwachstum an Lebensqualität. Und wenn in diese Lebensqualität alle Kreise der Gesellschaft einbezogen werden, dann entsteht auch mehr Sicherheit, nicht nur vor Terrorismus sondern auch vor allgemeiner Kriminalität.